Schweizerdeutsch und Hochdeutsch – unterschiedlich und doch gleich

17. Februar 2025
Schweizerdeutsch "Chuchichäschtli" vs. Hochdeutsch "Küchenkästlein" (Zeichnung: Marc Lovisetto)

Im Deutschunterricht haben wir die Sprachgeschichte der indoeuropäischen Sprachen und der davon abhängigen deutschen Sprache thematisiert. Die Ziele waren hauptsächlich, die Entwicklung und Entstehung der deutschen Sprache zu verstehen und Phänomene des Sprachwandels kennen und nachvollziehen zu können. Den Unterrichtsstoff für dieses Thema haben wir vollständig durch Selbststudium und Kolloquien erarbeitet. Im folgenden Abschnitt werde ich die wichtigsten Meilensteine in der Entstehung der deutschen Sprache mit sichtbaren Auswirkungen auf die heutige Sprache erläutern und in einem weiteren Abschnitt werde ich diese mit dem Schweizerdeutschen vergleichen.

Der Weg zum Hochdeutschen

Die ersten wichtigen Veränderungen des Indoeuropäischen mit Auswirkungen auf die heutige deutsche Sprache waren die erste und die zweite Lautverschiebung. Die erste Lautverschiebung ist eines der Hauptmerkmale, die die germanischen Sprachen von den übrigen indoeuropäischen Sprachen unterscheiden. Zeitlich eingeordnet fand die erste Lautverschiebung ungefähr um 500 v. Chr. statt. Beide Lautverschiebungen sind grundlegende Veränderungen im konsonantischen Lautsystem. Durch die erste Lautverschiebung wurden die indoeuropäischen Konsonanten /p/, /t/, /k/ zu /f/, /þ/, /x/ und später zu /f/, /d/, /h/. Ein gutes Beispiel dafür ist das neuhochdeutsche Wort Fisch, das auf Lateinisch piscis heisst.
Die zweite Lautverschiebung ist ein Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Hochdeutschen und den übrigen germanischen Sprachen. Sie bezeichnet gleich zwei Veränderungen: Die Verschiebung zu Affrikaten im Anlaut bei Gemination nach einem Konsonanten sowie die Verschiebung einiger Konsonanten zwischen oder nach Vokalen. Im ersten Fall wurden /p/, /t/, /k/ zu /pf/, /ts/, /kx/ und im zweiten Fall wurden /p/, /t/, /k/ zu /f/ oder /ff/, /s/ oder /ss/, /x/.
Später entwickelte sich aus dem Althochdeutschen das Mittelhochdeutsche, das sich wesentlich vom Althochdeutschen durch die Nebensilbenabschwächung unterscheidet. Diese setzt sich bis ins Neuhochdeutsche fort. Die wichtigste Veränderung dieses Prozesses ist die Vokalabschwächung der Endsilbenvokale. Dadurch erfolgt automatisch auch ein Schwinden des Kasussystems, gut ersichtlich am allmählichen Schwinden des Genitivs. 
Im Zuge der Entwicklung vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen gab es drei wichtige Veränderunge: Die neuhochdeutsche Diphthongierung, die neuhochdeutsche Monophthongierung und die Vokaldehnung. Sie betrafen alle das Vokalsystem. Bei der neuhochdeutschen Diphthongierung wurden die langen Vokale [i], [u], [y] zu ei, au, eu. Bei der neuhochdeutschen Monophthongierung gingen die Diphthonge ie, uo, üe in die Monophthonge [i], [u], [y] über. Die Vokaldehnung beschreibt die Verlängerung der Vokale in offenen Silben (Silben, die auf einen Vokal enden).


Eine andere Entwicklung, ein anderer Dialekt

Im Vergleich zum heutigen Neuhochdeutschen hat das Schweizerdeutsche viele dieser Veränderungen nicht oder in spezifischer Weise durchlaufen. Das Schweizerdeutsche besteht aus vielen Dialekten, die sich unterschiedlich stark voneinander unterscheiden. Dennoch lassen sich in der Entwicklung des Schweizerdeutschen im Allgemeinen viele der Veränderungen, die das Neuhochdeutsche durchgemacht hat, nicht oder in abweichender Form feststellen.
Die zweite Lautverschiebung hat das Schweizerdeutsche am konsequentesten mitgemacht. Besonders die Verschiebung von /k/ zu /kx/ hat sich im Schweizerdeutschen besonders stark durchgesetzt. Das Wort kind (Altsächsisch) wurde über das Althochdeutsche zum Mittelhochdeutschen zu kint, während es im Schweizerdeutschen zu Chind wurde (Weiteres Beispiel siehe Titelbild).
Die Diphthongierung und Monophthongierung sind die einflussreichsten Veränderungen, die das Neuhochdeutsche durchlief und das Schweizerdeutsche nicht. Dieses Phänomen ist gut ersichtlich und kann an vielen Beispielen aufgezeigt werden. Zum Beispiel das Wort Haus (Neuhochdeutsch) auf Schweizerdeutsch Huus oder das Wort mein auf Neuhochdeutsch und min auf Schweizerdeutsch. Diese Beispiele zeigen, wie im Neuhochdeutschen die Vokale /u/ und /i/ in Diphthongen übergingen, während sie im Schweizerdeutschen als Monophthonge bestehen blieben. Beispiele für die Monophthongierung sind die Wörter Hut und Bruder auf Neuhochdeutsch sowie Huet und Brüeder auf Schweizerdeutsch. Auch hier bleiben die Diphthonge des Mittelhochdeutschen im Schweizerdeutschen bestehen und gehen nur im Neuhochdeutschen zu Diphthongen über.
Weniger bedeutend sind die unterschiedlichen Auswirkungen der Nebensilbenschwächung auf das Mittelhochdeutsche, Neuhochdeutsche und Schweizerdeutsche. Auch von dieser Wandlung war das Schweizerdeutsche weniger stark betroffen als das Mittel- und Neuhochdeutsche. Im Schweizerdeutschen blieben in manchen Dialekten die Nebensilben bedeutender und werden auch deutlicher ausgesprochen. Es gibt jedoch starke Unterschiede zwischen den Dialekten des Schweizerdeutschen, weshalb Veränderungen durch die Nebensilbenabschwächung schwer zu erkennen und zu verallgemeinern sind. Ein gutes Beispiel für die geringe Nebensilbenabschwächung im Schweizerdeutschen ist der walliserdeutsche Dialekt. Zum Beispiel blieb das neuhochdeutsche Wort Zunge auf Walliserdeutsch je nach Kasusflexion bei Zunge, Zunga oder Zungu, mit vollen Vokalen als Endsilbe.

Das Schweizerdeutsche entwickelte sich ähnlich wie die restlichen hochdeutschen Sprachvarianten, jedoch mit bedeutenden Unterschieden, die dazu führten, dass sich das heutige Schweizerdeutsche vom Hochdeutschen unterscheidet.


Schreibprozess